Philosophischer Rabatz

Wir handeln alle aus Liebe

Wir handeln alle aus Liebe

Menschen haben unterschiedlichste Ziele und damit Gründe für ihr Handeln. Die einen wollen eine große Familie gründen, andere vielleicht möglichst viel Erfolg im Beruf. Daher sind erstere auf der Suche nach dem perfekten Partner und einer verlässlichen Beziehung, während die andere ihre Zeit in die eigene Karriere investieren. Hin und wieder fragen wir uns jedoch, ob unsere Ziele und Gründe denn die richtigen oder im Allgemeinen gut sind. Ist es wirklich erstrebenswert viele Kinder in die Welt zu setzen? Vielleicht wäre es ja besser, wenn man um die Welt reist und viele verschiedene Kulturen kennenlernt. Ist es wichtig, dass ich jeden Monat viel Geld auf dem Konto habe und ein großes Team leite? Eventuell wäre ein einfacher Beruf besser, damit man sich auf sein Hobby fokussieren kann. Doch woher soll man wissen, was zu einem guten Leben führt? Harry G. Frankfurt hat in seinen Werken und insbesondere in „Gründe der Liebe“ eine für die meisten zunächst unwissenschaftliche Antwort auf diese Frage: Wir sollten das tun, was wir lieben. Was meint er damit?

Moral ist nicht immer die beste Lösung

Wenn Philosophen über gute Handlungsgründe sprechen, sind in fast allen Fällen moralische Gründe gemeint. Man sollte aus Pflicht handeln oder besonders tugendhaft. Man sollte das Allgemeinwohl beachten oder einen gewissen Regelkatalog befolgen. Diese Gründe sollen letztendlich zu einem guten Leben führen. Alle diese Vorschläge basieren auf verschiedensten, über Jahrhunderte entwickelten, ethischen Ideen. Bernard Williams weist jedoch auf ein Problem aller Varianten hin:

Man stelle sich einen Mann vor, der einen Spaziergang durch den Park unternimmt. Als er zu einem Teich kommt, sieht er, dass dort zwei Menschen ertrinken. Auf den ersten Blick erkennt er sofort seine geliebte Ehefrau. Die andere Person ist ihm unbekannt. Die Zeit drängt und er kann nur eine Person retten. Welche Person wird er retten? Er entscheidet sich für seine Ehefrau, die andere Person stirbt. Williams stellt nun die Frage, aus welchem Grund er gehandelt hat. Hat er sich überlegt, welche Pflichten er gegenüber seiner Frau, der anderen Person und der Gesellschaft hat und abgewogen? Hat er eine Nutzenrechnung aufgestellt und berechnet, dass das größtmögliche Glück für alle möglich ist, wenn er seine Frau rettet? Williams ist wie später Frankfurt der Meinung, dass diese Gedanken alle zu viel wären. Der Mann hat seine Frau gerettet, weil er sie liebt. Das ist alles. Jeder weitere Gedanke wäre in dieser Situation zu viel gewesen. Und wir verübeln ihm diese Entscheidung nicht. Wir können sie nachvollziehen, würden wahrscheinlich sogar genauso entscheiden. Auch seine Frau wäre enttäuscht, wenn er sagen würde, dass er sie gerettet hat, weil er sich einen größeren Nutzen davon erhofft.

Damit scheint es aber gute Gründe für unser Handeln zu geben, die abseits von irgendwelchen moralischen Grundsätzen existieren. Hier könnten moralische Überlegungen sogar eher hinderlich sein. Das macht die Suche nach einem guten Leben aber noch schwieriger. Wenn vorher die Antwort lautete, dass man moralisch handeln sollte, scheint uns nun auch diese Richtschnur verloren. Laut Frankfurt kann uns aber die Liebe hier helfen.

Liebe

Vorweg sollte geklärt, was Frankfurt unter Liebe versteht. Er meint keine erotische, flüchtige Leidenschaft, kein Gefühlschaos oder Schmetterlinge im Bauch, sondern eine spezielle Form des Sorgens. Wenn man sich um etwas sorgt, dann will man das Beste für dieses Etwas. Diese Sorge ist zudem nicht nur ein spontaner, kurzfristiger Wunsch, sondern langlebig. Für die Liebe, die er meint, gelten vier Eigenschaften:

  1. Liebe bedeutet, dass man sich darum sorgt, dass es dem geliebten Etwas gut geht. Selbstlosigkeit und Eigeninteresse fallen beim Liebenden zusammen: Geht es dem Geliebten schlecht, so geht es einem selbst schlecht.
  2. Es geht um das Geliebte selbst und um keinen anderen Zweck.
  3. Liebe ist persönlich, man kann das Geliebte nicht durch etwas Anderes ersetzen.
  4. Was wir lieben, liegt nicht in unserer Gewalt.

Ein Beispiel für so eine Form der Liebe ist die Elternliebe. Wenn Eltern ihre Kinder lieben, geht es ihnen nicht um ihre eigenen Interessen im engeren Sinne. Die Interessen der Kinder und die Möglichkeit, dass sie diesen nachgehen können, sind handlungsanleitend. Die Eltern leiden darunter, wenn ihre Kinder leiden und versuchen alles, damit ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Außerdem verfolgen die Eltern damit kein anderes Ziel, als das Glück der Kinder zu fördern. Es gibt nicht irgendetwas, was sie dadurch erreichen wollen. Auch sind die Kinder nicht austauschbar gegen andere Kinder. Die Liebe zu den Kindern ist gerade die Liebe zu den eigenen Kindern und lässt sich nicht generalisieren. Zu guter Letzt können die Eltern gar nicht anders, als ihre Kinder zu lieben. Sie suchen es sich nicht aus und können es auch nicht ablegen. Die Liebe ist auf einmal da und zwingt sich auf. Die Eltern haben keine andere Wahl, als sich ihr zur fügen.

So eine Form der Liebe schränkt laut Frankfurt unser Handeln ein. Unser Wille kann sich nur im Rahmen dieser Liebe bewegen, da nun mal nur diese Liebe Gründe für unser Handeln gibt. Sie formt unseren Willen und sorgt dafür, dass unser Tun nicht sprunghaft ist. Wenn eine Person nichts liebt, so hat sie auch keinen Grund irgendetwas langfristig zu tun. Sie wird nur von spontanen Wünschen getrieben. Für Frankfurt sorgt die Liebe somit zwar für eine Einschränkung unseres Willens, ist aber letztendlich dafür verantwortlich, dass wir für überhaupt frei sein können. Nur wenn wir etwas lieben, können wir auch diese Liebe verfolgen und im Einklang mit unserem Willen handeln. Wenn wir nichts lieben, dann ist alles zufällig und nicht von Dauer. Das wäre keine Form der Freiheit, sondern einfach willenloses Chaos.

Wenn du gut leben willst, dann finde heraus, was du liebst

Mit diesen Überlegungen und theoretischen Fundament gibt Frankfurt eine Lösung für die eingangs aufgeworfene Frage nach dem guten Leben an. Wir müssen zunächst feststellen, was wir lieben. Diese Frage ist nicht wertend, sondern wird durch Selbstreflexion beantwortet. Wenn wir dann wissen, was wir lieben, können wir danach handeln. Wir können dieser Liebe bestmöglich nachgehen und ein gutes Leben führen.

Die Frage nach dem guten Leben lässt sich, so Frankfurt, nur individuell beantworten. Damit kommen aber neue Fragen auf: Was ist mit der Moral? Darf man nun einfach ohne Rücksicht das tun, was man liebt? Gibt es Dinge, die jeder Mensch liebt? Gibt es nichts anderes, was uns Handlungsgründe gibt?

Lektüre

Autor: Harry Frankfurt
Titel: Gründe der Liebe
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-29711-7
Preis: 10€

Autor: Bernard Williams
Titel: Moral luck
Verlag: Cambridge Uni. Press
ISN: 978-052-21869-16
Preis: ca. 22€