Philosophischer Rabatz

Max Czollek: Desintegriert euch!

Max Czollek: Desintegriert euch!

„Die einen wollen einen Raum schaffen, in dem man ohne Angst verschieden sein kann. Die anderen wollen kulturelle Maßstäbe für die Zugehörigkeit zu Deutschland aufstellen, womit sie notwendig jene ausschließen müssen, die nicht in ihr Konzept von Leitkultur passen.“ – Max Czollek

Kurzübersicht

Worum geht es?„Irgendwann ist aber mal gut.“ Max Czollek zeigt, warum die Gräueltaten des Nationalsozialismus noch längst nicht aufgearbeitet sind und dass die Vorstellung deutscher Normalität arrogant ist.

Das sagt Sebastian:

Du solltest dieses Buch lesen, wenn …… Du das nächste Mal eine Deutschlandfahne aus dem Fenster hängen willst.

*Was ist die Kernaussage?Nationalistisches Denken war nie wirklich weg und Verfolgungen von Menschen anderen Glaubens und/oder Aussehen sind auch heute noch möglich. Jüdinnen und Juden, aber auch Musliminnen werden klare Rollen zugeschrieben, die sie einzunehmen haben – gegen diese Vorstellung richtet sich Desintegration.

Max Czolleks „Desintegriert euch!“ ist ein gehaltvoller Beitrag zu einigen der wichtigsten aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten. Czollek selbst schreibt, es handele sich um eine Polemik. Doch dafür geht es auf den knapp 200 Seiten größtenteils sehr ernst zu.

Den Rahmen bildet das Gedächtnistheater des Soziologen Y. Michal Bodemann, der damit das Zusammenspiel deutscher Gesellschaft und jüdischer Minderheit bezeichnet. In diesem Theaterstück geht es darum, den Deutschen ihre Wiedergutmachung nach dem zweiten Weltkrieg zu attestieren. Czollek zeigt, warum das Quatsch ist und zieht eine historische Verbindung von der Wiedereingliederung der Nazis in öffentliche Ämter in den 50er Jahren bis hin zum Einzug der AfD in den Bundestag.

Czollek argumentiert, dass sich die Anschlussfähigkeit nationalistischen Denkens auch im Umgang mit AfD-Wähler*innen zeigt: diese werden umschmeichelt, man müsse Verständnis zeigen und die Leute mitnehmen. Im krassen Kontrast dazu steht der Umgang beispielsweise mit kopftuchtragenden Musliminnen. Und so zeige sich auch in den Debatten um Heimat, deutsche Leitkultur (die es nie gab und nicht gibt) deutsche Dominanzkultur, die so wenig in das Selbstbild der Deutschen passt.

Wer „Desintegriert euch!“ mit einer offenen Haltung liest, wird viel Plausibles finden. Insbesondere die Betrachtung öffentlicher Debatten vor dem Hintergrund des Gedächtnistheaters eröffnet neue Blickwinkel. Das tut gut und ist notwendig, denn nur so ist es möglich, vom Skript abzuweichen. Das erlaubt es dann – hoffentlich – auch, aus den vorgeschriebenen Rollen auszubrechen. So verstanden verursacht der Titel „Desintegriert euch!“ dann auch nicht länger einen steigenden Blutdruck.

Für eine Debatte erschien das Buch leider zu spät: die unsägliche Debatte um Mezut Özil, in der es allzu häufig auch um das Absingen der deutschen Nationalhymne ging. Allen, die von den Nationalspielern einfordern, inbrünstig mitzuschallern, möchte man mit Czollek zurufen: „Ich finde, nach diesem 20. Jahrhundert kann man es einfach respektieren, wenn jemand solche Lobgesänge auf Deutschland nicht mitsingen möchte. Und es dabei belassen.“

Das macht aber nichts, denn die nächsten Debatten werden bereits geführt. Zeit, sich vorher das Skript zu besorgen!