Philosophischer Rabatz

Eva Horn & Hannes Bergthaller: Anthropozän zur Einführung

Eva Horn & Hannes Bergthaller: Anthropozän zur Einführung

Immer mal wieder hört man es: Wir befinden uns im Zeitalter des Anthropozän. Aber was heißt das eigentlich genau? Diese Frage ergründen Eva Horn und Hannes Bergthaller in ihrer lesenswerten Themeneinführung aus philosophisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive.

Das sagt Jonas:

Populär wurde der Begriff des Anthropozän durch den Chemiker Paul Crutzen, der auf einer Fachtagung im Jahr 2000 das Erdzeitalter des Holozän angesichts der geologischen Eingriffe des Menschen für beendet erklärte. In der Tat ist unsere Spezies zu einem planetarischen Einflussfaktor geworden: Weltweit, so führen Horn und Bergthaller aus, werden inzwischen durch menschliche Aktivitäten mehr Erde, Sand und Stein bewegt als durch alle natürlichen Prozesse. Die Artenvielfalt schwindet, das Klima verändert sich, neue Kunststoffe werden hergestellt, Böden versiegelt… Kurzum, wir verändern die Ökologie unseres Heimatplaneten in beträchtlichem Ausmaß. Doch wie lässt sich diese verhältnismäßig junge Einsicht überhaupt begreifen, und welche Konsequenzen sind aus ihr zu ziehen?

Der Mensch wird eine bestimmende Komponente in der Welt

Horn und Bergthaller widmen sich in ihrem Buch zahlreichen Kontroversen, die sich um das neue Konzept des Anthropozän ranken: Was bildet etwa den historischen Startpunkt dieses mutmaßlichen Erdzeitalters? Man könnte zum einen bei der klimageschichtlich folgenreichen industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ansetzen. Zum anderen lässt sich aber auch dafür argumentieren, dass bereits die viel länger zurückliegende Sesshaftwerdung des Menschen in der neolithischen Revolution (Beginn des Ackerbaus vor circa 11 000 Jahren) den Ursprung des Anthropozän markierte. Diskutiert wird außerdem, inwiefern wir unsere althergebrachten Konzepte von Natur und Kultur überdenken müssen. Wenn der Mensch zu einer geologischen Macht geworden ist, scheint die Kultursphäre nicht so autonom zu sein, wie wir oft annehmen. Auch müssen wir uns wohl von dem Gedanken verabschieden, die Natur sei im Gegensatz zur Kultur das Stabile, Verlässliche und Gleichbleibende. Paradoxerweise führt uns das Anthropozän einerseits die enorme Macht unserer Handlungen vor Augen, andererseits erzeugt es aber auch ein Gefühl der Ohnmacht in Anbetracht der ungewollten globalen Auswirkungen unserer Taten. Geradezu gespenstisch wird es, wenn die Autoren prophezeien, die Paläontologen einer weit entfernten Zukunft würden als Überbleibsel unserer Zivilisation im Sediment vor allem Hühnerknochen (als Resultat der Massentierhaltung) vorfinden. Wer vom Anthropozän spricht, betrachtet unsere Zeit also gewissermaßen aus der Perspektive zukünftiger Historiker.

Doch Bergthaller und Horn bieten auch hoffnungsvolle Gedankenanstöße. Im abgedruckten Goya-Gemälde „Duell mit Knüppeln“ (s. oben) sind zwei Kämpfer zu sehen, die so mit ihrem Duell beschäftigt sind, dass sie nicht merken, wie sie beide im Treibsand versinken. Analog dazu könnte die Einsicht in die uns alle betreffende Fragilität unseres Heimatplaneten neue Gemeinsamkeiten stiften. Dazu bedarf es des Wechsels von einer „Cowboy Economy“ zu einer „Spaceman Economy“: Anstatt wie zuvor nach dem Verbrauch von Ressourcen zu neuen Territorien überzusiedeln, müssen wir im Anthropozän lernen, mit den endlichen Beständen der Erde nachhaltig und verantwortungsbewusst umzugehen – wie vorausschauende Astronauten, die eine weite Reise vor sich haben.

https://www.youtube.com/watch?v=14O_HOQXSEM