Philosophischer Rabatz

Juhu, wir sind keine Hirne im Tank!

Juhu, wir sind keine Hirne im Tank!

Gedankenexperimente sind eine komische Sache. Aber hilfreich. Durch sie können wir ohne Gefahr die wildesten Situationen durchspielen und kommen zu überraschenden Erkenntnissen.

Philosoph*innen haben immer schon Gedankenexperimente benutzt, man erkennt sie an Einleitungen wie „Nehmen wir an, …“ oder „Stellen wir uns vor, …“. Was dann folgt, ist oft die Beschreibung einer bestimmten Situation. Am Ende sollen wir dadurch eine Theorie besser verstehen, eine Überzeugung in Frage stellen oder unsere Begriffe schärfen. Kurz: wir sollen durch etwas lernen.

Achilles und die Schildkröte sprinten um die Wette – Du wirst nicht glauben, wer gewinnt!

Der antike Philosoph Neon von Elen beispielsweise hat sich schon im 5. Jahrhundert v. Chr. ein Gedankenexperiment ausgedacht. Der schnellste Läufer Athens tritt gegen eine Schildkröte an. Die Schildkröte hat aber einen kleinen Vorsprung, sagen wir 10 Meter. Wer gewinnt den Sprint? Wir wissen: der Läufer wird den Sprint gewinnen. Nun aber das Gedankenexperiment. Wir stellen uns vor, beide laufen zeitgleich los. Der Läufer sprintet die 10 Meter bis zu dem Punkt, an dem die Schildkröte gestartet ist. In dieser Zeit hat die Schildkröte aber ja bereits eine Strecke zurückgelegt, liegt also immer noch vorne. Der Sprinter läuft weiter. In dem Moment, wo er an dem Punkt ist, wo die Schildkröte vorher war, ist diese wiederum ein Stück weiter gekommen, sie führt also immer noch. Das können wir beliebig oft wiederholen. Der Läufer kann die Schildkröte nie einholen – und gewinnt in der Realität doch jeden Sprint. Wie kann das sein?
Diese Paradoxie lässt sich mit Mathematik und Logik lösen. Wer da tief einsteigen will, kann sich das Video von Daniel Jung anschauen.

Gehirne im Tank – leben wir in der Matrix?

Kennst Du noch den Film Matrix? Das ist der Actionfilm, in dem Keanu Reaves Ledermantel trägt und Pistolenkugeln ausweicht. Die Grundidee des Films geht zurück auf ein Gedankenexperiment des amerikanischen Philosophen Hilary Putnam. Das Setup: stelle dir vor, ein böser Wissenschaftler hat eines Tages dein Gehirn aus deinem Körper operiert und in einen Tank mit einer Nährflüssigkeit gesteckt. Über Elektroden gaukelt er dir (das heißt deinem Gehirn im Tank) nun vor, alles sei völlig normal. Die Erinnerung an die Operation löscht er, Du bemerkst keinen Unterschied zwischen vorher und nachher. Genauso ist es in Matrix, nur, dass die Menschen dort mitsamt ihren Körpern an Maschinen angeschlossen sind – und dass eben nicht ein Mensch, sondern (fast) alle Menschen auf diese Weise getäuscht werden. Sie glauben, sie führen ein Leben wie Du und ich, dabei liegen sie in sargähnlichen Kästen, angeschlossen an Maschinen, die sie durch ihre Hirnaktivität mit Elektrizität versorgen. Zurück zu Hilary Putnam. Haben wir nun keine Möglichkeit, zu unterscheiden, ob wir wirklich gerade instagramable leben oder unsere Gehirne nur in einer Nährflüssigkeit schwimmen? Putnam meint, dass unsere Sprache uns dabei hilft. Er vertritt den Semantischen Externalismus, eine Position, die davon ausgeht, dass unsere Begriffe nur dadurch Bedeutung erlangen, dass sie durch kausale Beziehungen mit der realen Welt entstehen. Einfach gesagt: wenn wir sagen „Wie geil ist denn bitte dieser Sonnenuntergang!“, dann geht das nur, weil wir wirklich einen Sonnenuntergang sehen, auf den wir uns beziehen. Im Video erklärt das Putnam nochmal selbst.

Das Besondere an Gedankenexperimenten: wir lernen ohne neue Daten

Gedankenexperimente stellen unsere Überzeugungen in Frage. Gute philosophische Gedankenexperimente entwickeln beinahe so etwas wie ein Eigenleben. Sie werden über Jahre hinweg variiert und führen uns zu immer wieder neuen Schlussfolgerungen. Das ist erstaunlich, denn all das schaffen sie, ohne, dass wir wirklich experimentieren müssen. Wir operieren keine Gehirne aus Menschen, um sie anschließend zu fragen, ob sie erkennen, dass sie in einer Nährflüssigkeit schwimmen. Wir lassen auch keine Leichtathlet*innen gegen Schildkröten antreten. Und wir lassen auch keine Züge über Gleise mit Bauarbeiter*innen fahren (ein anderes Gedankenexperiment, aber das braucht einen eigenen Beitrag …). Dennoch, auch ohne neue empirische Daten lernen wir etwas – über unsere Intuitionen, unsere Theorien und manchmal sogar über die echte Welt.

Lektüre

Autor: Georg W. Bertram
Titel: Philosophische Gedankenexperimente
Verlag: Reclam
ISBN: 978-3-15-020262-3
Preis: 12,95€