Philosophischer Rabatz

Der Schutz ungeborenen Lebens

Der Schutz ungeborenen Lebens

Es wird derzeit viel über § 219a StGB „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ gestritten. Da gibt es Politiker*innen, die dafür argumentieren, dass das Werbeverbot bestehen bleibt und andere, die argumentieren, dass Ärzt*innen wenigstens darüber informieren dürfen sollten, dass sie Abtreibungen vornehmen. Im Januar 2019 wird im Bundestag darüber beraten.

Philosophisch spannend(er): § 219

Aus philosophischer Sicht spannender ist ohnehin § 219 „Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage“: denn da wird der Gesetzestext philosophisch interessant. Darin heißt es:
„Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen.“

Zunächst einmal: das Ziel der Beratung (und damit auch das normativ wünschenswerte Ziel aus Sicht des Gesetzgebers) wird klar vorgegeben: keine Abtreibung. Die Beratung soll bei einer verantwortlichen und gewissenhaften Entscheidung helfen. Soweit so tendenziös: verantwortlich und gewissenhaft ist eine Entscheidung scheinbar nur dann, wenn sie für die Schwangerschaft ausfällt. Aber es geht weiter:
„Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt.“

Diesen Satz trennen wir auf; die Grundlage für den zweiten Teil ab „deshalb“ liegt im ersten Halbsatz: das Ungeborene hat in jedem Stadium der Schwangerschaft ein eigenes Recht auf Leben – auch der Mutter gegenüber. Diese Position ist aus philosophischer Sicht bestreitbar.

Recht auf Leben: ab wann und für wen

  1. Das Ungeborene hat in jedem Stadium der Schwangerschaft ein eigenes Recht auf Leben. Zunächst: ab wann ist eine Schwangerschaft eine Schwangerschaft? In § 218 heißt es: nach Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter gelten Eingriffe als Schwangerschaftsabbruch. Aber die Wahl dieses Zeitpunktes braucht seinerseits argumentative Unterstützung: Warum dieser Moment? Vermutlich geht es um das Potential: eine eingenistete, befruchtete Eizelle hat das Potential, zu einem Menschen zu werden.
    Mit diesem Argument könnte man aber auch weitere Schlussfolgerungen ziehen: Jedes Spermium und jede Eizelle haben das Potential, menschliches Leben zu schaffen. Gilt dann, dass wir versuchen müssen, jede Eizelle und jedes Spermium zu menschlichem Leben werden zu lassen? Das wäre absurd.

  2. Das Ungeborene hat in jedem Stadium der Schwangerschaft ein eigenes Recht auf Leben.
    Auch hier können unterschiedliche Argumente für und gegen diese Position vorgebracht werden: Für das eigene Recht auf Leben spricht, dass es ein Menschenrecht ist. Jedoch: ab wann sprechen wir von Mensch-Sein? Können ein paar dutzend Zellen bereits menschliches Leben mit eigenem Recht sein? Und wie ist dieses Recht zu gewichten? Als absolutes Recht wie wir es zum Beispiel erwachsenen Menschen zusprechen? Oder als Recht, das mit dem Recht der Frauen auf Selbstbestimmung aufgewogen werden muss? Das Gesetz trifft hier eine klare Wertung, insbesondere durch den Zusatz, dass das Ungeborene das Recht auf Leben auch der Schwangeren gegenüber hat. Diese Wertung bleibt ohne Argument unplausibel.

Das ist insofern schwierig, als dass eben der zweite Teil des Satzes auf diesen Halbsatz aufbaut. Der bräuchte aber argumentative Unterfütterung – die eben nicht so leicht zu finden ist.

Zu diesem Paragraphen also gibt es dann den Zusatz § 219a: „Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise (Dienste oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren) anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Überschrieben ist der Paragraph mit „Werbung“. Nach unserem Laienverständnis von Jura hieße das: Es ist Werbung, wenn Ärzte auf ihrer Homepage informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten und diese später in Rechnung stellen: sie haben dann ja einen Vermögensvorteil. Wo aber verläuft die Grenze zwischen Information und Werbung?

Darüber wird also so heftig gestritten. Was wir bisher noch nicht wahrgenommen haben: eine große Diskussion über den § 219. Doch auch diesen könnte man einmal kritisch unter die Lupe nehmen…